
Das heutige Chemnitz lag vor 330 Millionen Jahren – im Zeitalter des Unterkarbons – in Äquatornähe. In einer von Flüssen, Seen und Mooren geprägten Landschaft wuchsen hohe Bäume, die uns fremdartig vorkommen würden. Das Röhricht an Flussufern wurde von Ur-Schachtelhalmen gebildet. Dazwischen legten zwei Arten von Süßwasserhaien ihre Eier ab. An Land lebten Spinnentiere und Riesenhundertfüßer; im Wasser tummelten sich Krebstiere, Fische und Amphibien. Ein neues Ausstellungsensemble im Museum für Naturkunde Chemnitz gibt erstmals einen zusammenhängenden Einblick in eine Lebewelt, die etwa 40 Millionen Jahre älter ist als der Versteinerte Wald.
Im Zentrum der Ausstellung steht das Fossil des Jahres 2025 – die Hai-Eikapsel Fayolia sterzeliana. Johann Traugott Sterzel, der Gründungsdirektor Städtischen Naturwissenschaftlichen Sammlungen, fand die ersten rätselhaften Reste, die später nach ihm benannt werden sollten, 1879 in Sandgruben in Chemnitz-Borna. Ähnliche Funde, die zunächst als Pflanzenfossilien interpretiert wurden, beschrieben französische Wissenschaftler erst fünf Jahre später; nach weiteren vier Jahren kamen sie durch Vergleiche mit heutigen Knorpelfischeiern zu dem Schluss, dass es sich bei Fayolia um Eikapseln fossiler Haie handeln musste. Damit gehört die Chemnitzer Fayolia zu den ersten wissenschaftlich beschriebenen Arten der Gattung; geologisch ist sie der älteste Nachweis fossiler Haieier überhaupt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gelangen weitere Funde aus Sandgruben in Chemnitz-Borna; weitere Entdeckungen folgten um 2000. als dieselben Schichten beim Bau der neuen Autobahnanschlußstelle Chemnitz-Glösa angetroffen wurden.
Neben Fayolia kommt ein zweiter Typ fossiler Hai-Eikapseln vor – eine bislang unbeschriebene Art der Gattung Palaeoxyris. Beide Kapseltypen treten mehrmals nebeneinander auf einer Schichtfläche auf. Dies belegt, dass zwei verschiedene Arten von Haien gleichzeitig dasselbe Laichgebiet nutzten. Eier von Haifischen, die von einer ledrigen Membran umgeben sind, heften sich mit speziellen Haftfäden an Wasserpflanzen an. Über Monate wachsen die Embryonen, die sich von dem ebenfalls im Ei befindlichen Dottersack ernähren, zu Schlüpflingen heran. Wenn der Nahrungsvorrat im Ei aufgebraucht ist, durchschneiden sie die Kollagenmembran und begeben sich selbständig auf Nahrungssuche. In die Nähe erwachsener Tiere trauen sie sich allerdings erst ab einer gewissen Körpergröße, die sie vor Kannibalismus schützt.
Während sich Reste von Haien, abgesehen von Eikapseln, auf einen einzigen Kopfstachel beschränken, ist eine diverse Fauna an Land und im Wasser überliefert. Neben Skorpionen und anderen fossilen Spinnentieren wurden hier Reste des bis über 2,5 m langen Hundertfüßers Arthropleura gefunden, die den weltweit ältesten Beleg für dieses größte Gliedertier, das je auf der Erde gelebt hat, darstellen. Außer den Überresten diverser Fische trat das Fragment eines Amphibienschädels zutage, das als ältester Rest eines Tetrapoden (Vierfüßers) in Deutschland gilt. Auch die Flora zeigt eine für das Unterkarbon beachtliche Diversität und erlaubt die Rekonstruktion mehrerer voneinander unterscheidbarer Landschaftsbereiche. Damit liefert das Unterkarbon von Chemnitz-Borna und -Glösa, ähnlich dem Versteinerten Wald, einen wertvollen Einblick in die Evolution der Organismen und ihrer Umwelt in einem weit zurückliegenden Zeitfenster.
Die Ausstellung zum Unterkarbon von Chemnitz wird am 28. Mai 2025 um 17 Uhr mit Beiträgen von Prof. Dr. Ronny Rößler, dem Direktor des Museums für Naturkunde Chemnitz, und Katja Margarethe Mieth, der Direktorin der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen, eröffnet. Prof. Jörg W. Schneider von der TU Bergakademie Freiberg hält einen populärwissenschaftlichen Vortrag zur Einführung in die Geologie und Lebewelt des Chemnitzer Unterkarbons als einer für Europa einzigartigen Fossilfundstelle.
Der Eintritt ist frei.
Vertreter der Presse sind herzlich eingeladen.